Johannes der Täufer war auf seinen Wanderungen durch die heiße, trockene Wüste in ein abgelegenes Felsental gekommen. Dort schien die Erde an manchen Stellen ein wenig Wasser zu hegen, denn vereinzelte grüne Sträucher und sogar ein paar wilde, freilich unfruchtbare Weinreben waren hervorgesproßt. Es dauerte auch nicht lange, so stieß er auf ein Zelt, das arme Hirten aufgeschlagen hatten, deren wenige Ziegen und Schafe an den Steinigen Hängen herum kletterten.
Weil es schon Abend war, fragte Johannes, ob er im Zelt mit übernachten dürfe, und die Hirten gewährten das gerne. Sie ließen ihn an ihrem bescheidenen Mahl teilhaben, und am anderen Morgen durfte er erst weiter wandern, nachdem er ein Schälchen Milch mit ihnen getrunken hatte. Sie gaben alles in so freundlicher, herzlicher Art, dass Johannes bei sich beschloss, ihnen ein Geschenk zu hinterlassen. „Bringt mir eine von den Weinreben, wie sie an den Felsen wachsen!“ sprach er zu den Hirten; „ich will sie segnen, dass sie auch in dieser Wildnis Trauben tragen sollen!“
Nun waren die Hirten gutmütige, gastfreundliche Leute, die den Büßer bewirtet hatten, wie sie es an jedem Fremdling getan hätten. Den Gottesmann hatten sie nicht in ihm erkannt. Sie machten sich darum heimlich lustig über seine Absicht, eine Weinrebe zu segnen. Und der eine, der hinausgegangen war, brachte in übermütigen Spott keine Weinranke, sondern den Ast irgendeines der wilden Gesträuche in der Nähe. – Johannes tat, als merke er nichts. Er nahm den Zweig in die Hand, sprach sein Gebet über ihm und ging.
Wie sehr aber hatten die Hirten bald nachher Grund zum Erstaunen! Eines Tages fanden sie die Zweige, die der Heilige gesegnet hatte, dicht behangen mit feinen roten Träubchen. Und als sie die Beeren versuchten, waren diese von köstlichem Geschmack und überaus durststillend. Und immer mehr lernten sie das Wunder zu schätzen, als sie merkten, das das Sträuchlein Jahr um Jahr seine Ernte brachte, reichlich und gut,wenig bekümmert darum, ob es auf fruchtbarem Boden gestanden und ob die Witterung günstig gewesen sei. Wie wenn es seine unaufhörliche Dankbarkeit für den empfangenen Segen damit beweisen wolle.
Heute noch nennt man in Erinnerung an den Wohltäter, die Beeren Johannisbeeren oder in manchen Gegenden Johannistrauben.
(Michael Bauer)